Das Merkwürdige an Selbstzweifeln ist die Tatsache, dass vor allem die Menschen unter ihnen leiden, die intelligent und einfühlsam sind. Leider gilt aber auch der umgekehrte Fall. Menschen mit geringer Intelligenz und Leistungsbereitschaft zweifeln nur selten an sich und ihren Fähigkeiten. Solchen Menschen, die sich offenbar ohne jeden Grund selbst für „ganz toll“ halten, begegnet man leider ziemlich häufig.

Doch woher kommen unsere Selbstzweifel eigentlich? Sind sie angeboren, oder führen bestimmte Lebensumstände dazu? Oder sind unsere Eltern schuld? Oder vielleicht die Schule?
Sicher ist, dass die Grundlage für eine unrealistisch negative Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Leistungen bereits in der Kindheit gelegt wird. Eltern, die ihren Kindern nicht das Gefühl geben, gut zu sein, und auch unabhängig von ihren Leistungen geliebt zu werden, sind eine häufige Ursache. Unter mangelndem Selbstwertgefühl leiden auch die Menschen, die schon als Kind das Gefühl bekommen, nicht wichtig zu sein. Dabei muss gar kein böser Wille im Spiel sein. In Familien gibt es viele Gründe, warum ein Kind nicht die nötige Aufmerksamkeit bekommt. Vielleicht ist ein Elternteil nicht gesund oder der Job der Eltern spielt eine zu große Rolle. Ein Kind, das in so einer Umgebung aufwächst, in der andere Menschen oder andere Dinge stets wichtiger sind, als es selbst, kann kein gutes Selbstbewusstsein entwickeln.

Betroffen sind auch Menschen, die schon als Kind Leistungsanforderungen ausgesetzt waren, denen sie nicht gerecht werden konnten. Fordernde oder überforderte Eltern, die nur selten oder sogar nie loben, ziehen Kinder heran, die als Erwachsene ständig an sich zweifeln. Wer als Kind nicht für seine Anstrengungen gelobt wurde, wird auch später nie mit seinen eigenen Leistungen zufrieden sein.

Aber auch Familien, in denen Bescheidenheit und Opferbereitschaft besonders intensiv gelebt werden, können bei Kindern die Idee entstehen lassen, dass es nicht in Ordnung ist, mit sich selbst zufrieden zu sein oder sich sogar selbst zu lieben. Das Gleiche gilt auch für Kinder, die in einer streng religiösen Umgebung aufwachsen. Wenn jede Form von Selbstliebe oder nur Zufriedenheit mit den eigenen Leistungen als „Hochmut“, „Eitelkeit“ oder gar als Sünde betrachtet wird, ist es schwierig, ein positives Selbstbild zu entwickeln.

Eltern, die selbst unter mangelndem Selbstbewusstsein leiden, sind ebenfalls eine häufige Ursache. Denn wie sollten solche Eltern ihren Kindern auch vermitteln, was es bedeutet, selbstbewusst durchs Leben zu gehen, wenn sie selbst nicht wissen, wie man das macht?

Auch in der Schule können Grundlagen für ein mangelndes Selbstbewusstsein gelegt werden. So sind Lehrer, die ihre Schüler ständig kritisieren und nur selten loben, eine häufige Ursache. Lehrer und Eltern, die den Wert eines Kindes vorwiegend an seinen schulischen Leistungen bemessen, wirken sich verheerend auf das Selbstwertgefühl der jungen Menschen aus. Wer nur geliebt wird, wenn er gute Noten nach Hause bringt, bekommt automatisch das Gefühl, selbst wertlos zu sein. Immerhin sind es ja offenbar nur seine Leistungen, die geliebt werden.

Auch, wenn ein Kind aus – welchen Gründen auch immer – zu einem Außenseiter wird (z. B. von den anderen Kindern gehänselt, gemieden oder gemobbt wird), besteht die Gefahr, dass es mit einem geringen Selbstwertgefühl aufwächst.

„Aber daran kann ich ja im Nachhinein nichts mehr ändern!“

Das stimmt. Als erwachsene Menschen müssen wir mit dem arbeiten, was wir als Erbe aus unserer Kindheit und Jugend mitbekommen haben. Glücklicherweise verdammt uns das aber nicht dazu, es dabei zu belassen. Unsere Psyche und unsere Persönlichkeit befinden sich in einem ständigen Wandel. Es ist in jedem Lebensalter möglich, sie bewusst zum Positiven zu verändern. Jeder Mensch verändert sich im Laufe des Lebens aufgrund von Erfahrungen, Eindrücken und Lernprozessen. Aber auch bewusste und willentliche Veränderungen sind jederzeit möglich. Auf dieser Grundlage funktioniert jede Psychotherapie, und es gibt unzählige Beispiele dafür, wie Menschen sich aus den schwierigsten Verhältnissen befreit und ein erfolgreiches Leben geführt haben.

Wir werden in diesem Buch deshalb gemeinsam daran arbeiten, dass Sie hier und jetzt mehr Selbstvertrauen gewinnen. Wir wollen uns nicht mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern uns darauf konzentrieren, was Sie hier und heute tun können, um Ihr Selbstbewusstsein zu verbessern. Die Vergangenheit ist vorbei und kann auch nicht mehr verändert werden. Was zählt, ist das Heute, und wie wir unser Leben heute verbessern können.

„Es ist ein Jammer, dass die Dummköpfe so selbstsicher sind und die Klugen so voller Zweifel.“
(Bertrand Russell, britischer Philosoph und Mathematiker)

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus  Selbstbewusstsein kann man lernen! von Alexander Stern.

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