Es gibt in Bezug auf Depressionen einige weitverbreitete Ansichten und Vorurteile, die nicht zutreffend sind. Hier finden Sie die wichtigsten Irrtümer und Missverständnisse.
Irrtum 1: Depressionen sind keine echte medizinische Krankheit
Bei einer Depression handelt es sich nicht um eine vorübergehende Verstimmung, schlechte Laune oder Traurigkeit, weil man etwas Belastendes erlebt hat. Solche „leichten“ oder nur kurz andauernden Stimmungsverschlechterungen bezeichnet man bestenfalls als „depressive Verstimmung“, nicht aber als Depression. Eine echte Depression geht tiefer und dauert viel länger. Sie ist eine ernsthafte medizinisch anerkannte und medizinisch behandelte Krankheit, die in manchen Fällen zum Tod führt (Suizid). An einer Depression kann – genau wie an einer Grippe – buchstäblich jeder erkranken.
Irrtum 2: Antidepressiva reichen aus, um eine Depression zu heilen
Antidepressiva können die schlimmsten Symptome einer Depression lindern und die Betroffenen so wieder in die Lage versetzen, am Leben teilzunehmen. Auch eine aktive Auseinandersetzung mit der Erkrankung wird oft erst nach einer Behandlung der Symptome möglich. Die Behandlung mit Antidepressiva bildet also die Grundlage, auf der es erst möglich wird, die Erkrankung mithilfe von Psychotherapie und Psychoedukation zu behandeln. Antidepressiva allein führen in der Regel nicht zu einer vollständigen und dauerhaften Heilung.
Irrtum 3: Die Betroffenen müssten sich nur mal „zusammenreißen“
Eine Depression hat nichts damit zu tun, dass sich jemand gehen lässt oder sich nicht ausreichend bemüht, aus einer schlechten Stimmung herauszukommen. Wer das noch nicht selbst erlebt hat, kann es sich nur schwer vorstellen. Einem depressiven Menschen zu sagen, er solle sich zusammenreißen oder doch mal „positiv denken“ ist so, als wenn man einem Menschen mit hohem Fieber sagen würde, er solle doch mal cool bleiben und so sein Fieber senken. Wer unter Depressionen leidet,kannsich nicht zusammenreißen undkannauch nicht positiv denken, selbst, wenn er es noch sehr möchte. Das ist schlicht unmöglich.
Irrtum 4: Nur psychisch labile Menschen erkranken an Depressionen
Wie schon gesagt, eine Depression kann jeden treffen. Ganz gleich, ob Lehrer, Arzt, Fußballer oder Stahlarbeiter: Selbst die „stärksten“ Männer sind davor nicht sicher. Nicht selten kommt es vor, dass die Betroffenen es selbst gar nicht fassen können, eine Depression zu erleiden. Auch wenn es Risikofaktoren und bei manchen Menschen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit gibt, an einer Depression zu erkranken, letztlich kann sie jeden erwischen.
Irrtum 5: Die Ursache für eine Depression ist immer ein trauriges Ereignis
Man kann es gar nicht oft genug wiederholen: Eine Depression ist viel mehr als eine einfache Reaktion auf ein bedrückendes Ereignis. Manchmal können so ein Ereignis oder auch lang andauernde Belastungen ein Auslöser für eine Depression sein. Nicht selten gibt es aber auch gar keine offensichtlichen Auslöser. Die Depression kommt dann „aus heiterem Himmel“, obwohl im Leben scheinbar alles gut läuft.
Irrtum 6: Depressive Menschen weinen häufig
Häufiges Weinen kann ein Symptom einer Depression sein. Manche Erkrankte aber weinen nur sehr selten oder sogar gar nicht. Nicht wenige beklagen eine emotionale Leere, die selbst Gefühle von Traurigkeit ausschließt. Auch Betroffene, die unter einer lang andauernden „schleichenden“ Form der Depression, der Dysthymia, leiden, zeigen nach außen oft keine oder kaum erkennbare Symptome. Viele präsentieren sich nach außen ganz anders, als sie sich innerlich fühlen.
Irrtum 7: Eine Depression vererbt sich immer auf Kinder und Enkelkinder
Es scheint so zu sein, dass das Risiko an einer Depression zu erkranken erhöht ist, wenn die eigenen Eltern oder Großeltern auch schon unter Depressionen litten. Allerdings bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Nachkommen auch an einer Depression erkranken. Menschen mit familiärer Vorbelastung sollten aufmerksam sein, müssen aber nicht zwangsläufig ebenfalls erkranken.
Irrtum 8: Antidepressiva machen abhängig
Die typischen Merkmale einer Sucht, nämlich Toleranzentwicklung und das Bedürfnis, höhere Dosen einzunehmen, treten bei Antidepressivanicht auf. Grundsätzlich wirken Antidepressiva ganz anders als suchterzeugende Medikamente wie zum Beispiel Beruhigungsmittel (Valium® und Co.). Trotzdem können auch bei Antidepressiva Absetzerscheinungen auftreten, weshalb ein Antidepressivum immer unter Anleitung des Arztes langsam „ausgeschlichen“ werden sollte.
Irrtum 9: Antidepressiva verändern die Persönlichkeit
Das ist nachweislich falsch. Antidepressiva normalisieren den Hirnstoffwechsel. Die Betroffenen fühlen sich nach dem Wirkungseintritt nicht etwa verändert. Tatsächlich beschreiben die meisten die Wirkung so, dass sie sich (oft nach langem Leiden) endlich wieder wie sie selbst fühlen können.
Irrtum 10: Antidepressiva machen gute Laune
Die Vermutung liegt nahe, trifft aber so nicht zu. Tatsächlich verbessern Antidepressiva die Stimmung depressiver Patienten bis zu einem gewissen „normalen“ Niveau. Ein gesunder Mensch kann mithilfe von Antidepressiva seine Stimmung aber nicht verbessern. Wäre das anders, gäbe es schon längst einen florierenden Schwarzmarkt, wie auch für alle anderen stimmungsverbessernden Drogen. Nimmt ein Gesunder ein Antidepressivum erlebt er in der Regel nur die unangenehmen Nebenwirkungen, nicht aber eine Stimmungsverbesserung.
Irrtum 11: Antidepressiva muss man für den Rest des Lebens einnehmen
Auch das ist falsch. In vielen Fällen kann das Antidepressivum nach erfolgreicher Therapie (oft in Verbindung mit einer Psychotherapie) vollständig abgesetzt werden. In manchen Fällen wird allerdings empfohlen, das Antidepressivum auch danach als Rückfallprophylaxe noch länger einzunehmen.
Irrtum 12: Männer haben selten Depressionen
Die meisten Forscher und Mediziner gehen davon aus, dass Männer genauso häufig von Depressionen betroffen sind wie Frauen. Die zum Teil widersprüchlichen statistischen Zahlen deuten allerdings darauf hin, dass Frauen häufiger und früher ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen als Männer. Bei Männern, die sich psychische Schwächen nur ungern eingestehen, werden Erkrankungen deshalb häufiger nicht diagnostisch erfasst. Männer reagieren öfter mit Aggression und Alkohol- oder Drogenmissbrauch auf ihre depressive Stimmung.
Irrtum 13: Über die Depression zu sprechen, macht es nur schlimmer
Depressive Menschen brauchen jede Form von Unterstützung aus der Familie und dem sozialen Umfeld. Über die Depression sprechen zu können, ist für viele Patienten eine Erleichterung und hilft dem Umfeld dabei, den Betroffenen besser zu verstehen. Es ist immer besser, mit dem Betroffenen über seine Depression zu sprechen, als ihn mit seinen Sorgen und Ängsten allein zu lassen!
Irrtum 14: Wer über Suizid spricht, führt ihn nicht aus
Die ist sicher einer der gefährlichsten Irrtümer über Depressionen. Tatsächlich führen sehr viele Betroffene, die einen Suizid ankündigen oder darüber sprechen, diesen später auch aus. Wenn ein depressiver Mensch über eine Selbsttötung spricht, muss man dies immer sehr ernst nehmen und Hilfe suchen.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus unserem Buch Depressionen - erkennen - verstehen - überwinden von Alexander Stern.
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