Um es kurz zu machen, nein, Antidepressiva verändern die Persönlichkeit in der Regel nicht oder nur unwesentlich. Das Gegenteil ist der Fall. Durch die Depression verändert sich häufig die Persönlichkeit der Patienten. Mithilfe von Antidepressiva wird diese Veränderung wieder rückgängig gemacht. Der Patient ist dann wieder so, wie er vor der Erkrankung war. Die Medikamente stellen sozusagen den Ausgangzustand oder „Normalzustand“ wieder her. Ein Hinweis darauf, dass das so ist, ist auch die Tatsache, dass Antidepressiva in der Regel bei Gesunden keine Wirkung zeigen. Versuche haben gezeigt, dass bei nicht-depressiven Probanden lediglich die unerwünschten Nebenwirkungen, nicht aber die antidepressive Wirkung der Medikamente zum Tragen kam.

Einige aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass Patienten, die bestimmte Antidepressiva, die sogenannten „Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer“ (SSRI) einnahmen, eine leichte positive Veränderung bestimmter Faktoren der Persönlichkeit. Insbesondere Neurotizismus (Neigung zu negativen und instabilen Emotionen) und Extraversion (Fähigkeit und Neigung zur Kommunikation mit anderen) waren verändert.
Insgesamt zeigten sich die Probanden aufgeschlossener, kontaktfreudiger und weniger labil als zuvor. Tatsächlich sind das aber auch Eigenschaften, die man von einem Antidepressivum erwartet. Zu zeigen, inwiefern diese Veränderungen tatsächlich eine Veränderung der Persönlichkeit oder „nur“ eine Wiederherstellung des vordepressiven Zustands darstellen, dürfte schwierig sein. Wichtiger ist, dass die durch das Medikament hervorgerufene Veränderung der beiden Persönlichkeitsmerkmale den Patienten dabei hilft, ihre Gemütsstörung zu überwinden.

Grundsätzlich gilt natürlich, dass Psychopharmaka (= Medikamente, die auf die Psyche des Menschen wirken), nicht bei jedem Menschen gleich wirken. Und so kann auch ein Medikament, das bei 98 von 100 Patienten unproblematisch ist, bei den restlichen zwei Patienten unerwünschte Wirkungen haben. Es sollte deshalb auch bei der Einnahme von Antidepressiva immer beobachtet werden, ob sich das Verhalten oder das Denken des Patienten möglicherweise in ungünstiger Weise verändert. Eine ungünstige Veränderung der Persönlichkeit oder des Verhaltens eines Patienten nach der Einnahme von Antidepressiva ist weder erwünscht noch „normal“.

Besondere Vorsicht bei Kindern und Jugendlichen!
Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen die Einnahme eines Antidepressivums bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen möglicherweise zu aggressivem Verhalten oder zu Suizidversuchen geführt hat. Die entsprechenden Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Ein eindeutiger Zusammenhang ließ sich nur schwer herstellen bzw. nachweisen. Trotzdem sollten Ärzte, Eltern oder Betreuer hier ganz besonders sensibel sein. Spätestens, wenn sich das Verhalten eines (jungen) Menschen nach der Einnahme eines Antidepressivums spürbar negativ verändert, sollte umgehend der behandelnde Arzt darüber informiert werden.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus unserem Buch Depressionen - erkennen - verstehen - überwinden von Alexander Stern.
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